AK Antisemitismusforschung

AK Antisemitismusforschung in den Sektionen Politische Soziologie und Wissenssoziologie

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Arbeitskreis Antisemitismusforschung

Sektionen Politische Soziologie und Wissenssoziologie


Der Arbeitskreis wurde im Dezember 2020 gegründet und ist neben der Sektion Wissenssoziologie ebenfalls an die Sektion Politische Soziologie angebunden. Sprecher*innen sind die Initiator*innen des Arbeitskreises Claudia Globisch, Sarah Kleinmann, Lotta Mayer und Karin Stögner; sie wurden im Dezember 2020 für zwei Jahre gewählt.

 

Konzept des Arbeitskreises:

Antisemitismus kommt in den verschiedensten gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontexten in Geschichte und Gegenwart vor. Nicht zuletzt die antisemitischen Anschläge und Übergriffe der vergangenen Jahre, Artikulationen im Internet sowie die gegenwärtig auf den Straßen präsenten, in Teilen antisemitisch konnotierten Verschwörungsideologien innerhalb der Coronaprotestmilieus zeigen, dass er selbstverständlich auch und gerade in Deutschland kein Phänomen der Vergangenheit ist. Entsprechend steht Antisemitismus als Gewalttat, Ideologie und Semantik, einschließlich seiner intersektionalen Verknüpfungen mit anderen Ideologien (Rassismus, Sexismus, Anti-Genderismus, Homophobie, Nationalismus, Sozialdarwinismus…), verstärkt auf der politischen wie wissenschaftlichen Agenda. Dabei wird auch der Übergang von der Semantik zur Tat sowie der Umgang mit Antisemitismus als Hassideologie im Netz diskutiert.

Jedoch ist Antisemitismus innerhalb der Soziologie nach wie vor ein wenig institutionalisierter Gegenstandsbereich. Dies gilt, obschon soziologische Klassiker – von Theodor W. Adorno, Georg Simmel, Karl Mannheim, Norbert Elias oder Talcott Parsons – mit scharfsinnigen Analysen des Antisemitismus vorliegen, und aktuelle soziologische Forschungen zu Antisemitismus und zur Erinnerung an die Shoah bestehen.

In der Antisemitismusforschung wird nach wie vor kontrovers beurteilt, ob ein allgemeiner Begriff des Antisemitismus dem Gegenstand angemessen ist. Es liegen daher unterschiedliche Bestimmungen (etwa völkischer, rassistischer, wirtschaftlicher, politischer, primärer, sekundärer, israelbezogener, islamischer, latenter oder fragmentarischer Antisemitismus) vor. Dabei ist umstritten, ob diese in den Varianzbereich eines generalisierten Antisemitismus fallen oder sich strukturell voneinander unterscheiden. Sowohl die Einstellungsuntersuchungen der quantitativen Forschung wie auch unterschiedliche qualitative Studien geben Anlass zu der Annahme, dass es sich beim Antisemitismus weder um die direkte Fortsetzung des religiös begründeten Antijudaismus noch um eine bloße Anhäufung einzelner Vorurteile oder eine Reaktion gegen eine jüdische Minderheit handelt, sondern um eine stabile, wenngleich bewegliche „Weltanschauung“ moderner Gesellschaften. Geht man davon aus, dass es sich um eine solche Weltanschauung handelt und der Antisemitismus als stabiler Wissensvorrat und Denkform in unterschiedlichen Gesellschaften verfügbar ist, hat das für eine Gesellschaftstheorie Folgen, die immer noch wenig systematisch reflektiert werden.

In der Soziologie lässt sich eine „Entkopplung“ des Faches von der Antisemitismusforschung beobachten. Das bedeutet einerseits, dass die Theorie- und Methodenentwicklungen innerhalb der Soziologie nicht oder nur wenig in die Antisemitismusforschung integriert wurden, andererseits der Gegenstand Antisemitismus innerhalb der Soziologie vernachlässigt wurde und in einem Großteil soziologischer Theorien keine Rolle spielt. 

Für die Wissenssoziologie ist die Analyse von gesellschaftlichem Wissen und Nichtwissen, seinen expliziten und impliziten Formen sowie die Zuordnung von sogenannten kulturellen Objektivationen zu sozialen Strukturen zentral. Mit der Konzeptionalisierung des Antisemitismus als kulturelle Semantik und Weltanschauung hat sich ein relevanter theoretischer Bezugspunkt gebildet. 

Zentrale Bezüge lassen sich auch zu den Memory Studies innerhalb der Soziologie und deren Analysen der Formen des Erinnerns und Vergessens an die Shoah im sozialen Gedächtnis von Gesellschaften ziehen. Diese Analysen und die verschiedenen Täter-Opfer-Konstruktionen sind nicht nur notwendiger Teil einer empirischen Befassung mit Antisemitismus, sondern notwendig für eine Theorie des Antisemitismus. 

Die Antisemitismusforschung besteht in vielen Analysen und Begriffsbestimmungen weitgehend darin, Antisemitismus als Fremdbild und Stereotypenzuschreibung zu bestimmen und zu untersuchen. Das systematische Verhältnis von Selbst- und Fremdbild im Antisemitismus ist bis auf wenige Ausnahmen unterbestimmt, ebenso die Einbettung in unterschiedliche Weltbilder und Relevanzstrukturen. 

Mit der Verbreitung des Antisemitismus im Netz, insbesondere in den Sozialen Medien, haben sich überdies neue kommunikative Formen entwickelt, die methodisch und theoretisch entsprechend adressiert werden müssen.

Der Arbeitskreis geht deshalb auch der Frage nach, welche methodischen Zugänge für die Analyse dieser neuen Formen mit ihren eigenen Logiken angemessen sind. Überdies setzt er sich mit Verbindungen des Antisemitismus mit anderen Ideologien (Rassismus, Sexismus, Anti-Genderismus, Nationalismus, Sozialdarwinismus…) auseinander. Er ist ein Forum des Austausches zu Theorien, Methoden und Befunden der soziologischen Antisemitismusforschung; er ermöglicht eine systematische, kollegiale und kontinuierliche Verständigung zwischen Forscher*innen unterschiedlicher Disziplinen, die sich gegenwartsbezogen oder in historischer Perspektive mit diesem Gegenstand befassen. Derart soll zum einen die soziologische Antisemitismusforschung vorangebracht werden – insbesondere die bislang weitgehend ausstehende Verknüpfung von Antisemitismusforschung und soziologischer Theoriebildung, aber auch hinsichtlich einer Reflexion methodischer Zugänge – und zum anderen ihre Sichtbarkeit erhöht werden. Dies geschieht durch die Organisation von Panels, Workshops und Tagungen und daraus hervorgehenden Publikationen.

 

Bei Interesse an einer Mitarbeit oder Fragen zum Arbeitskreis Antisemitismusforschung melden Sie sich/melde Dich bitte beim Sprecher*innenteam unter folgender Kontaktadresse: ak_antisemitismusforschung@posteo.de 

Wir nehmen Sie/Dich dann gerne auf unseren Email-Newsletter auf.

 

Claudia Globisch, Karin Stögner, Lotta Mayer, Sarah Kleinmann, Januar 2021