Austausch zur Namenswerweiterung der Sektion Umweltsoziologie in Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologie
Letzte Aktualisierung
von
Melanie Jaeger-Erben
Vorhaben und Diskussionsgrundlage zur Erweiterung des DGS-Sektionsnamens von „Umweltsoziologie“ zu „Umwelt- und Nachhaltigkeitssoziologie“
Das Vorhaben
Als Vorstand der DGS-Sektion „Umweltsoziologie“ haben wir uns vorgenommen, die Sektionsarbeit innerhalb und außerhalb des Faches sowie öffentlich sichtbarer zu machen. Eine gute Möglichkeit dazu ist es, die Nachhaltigkeitsthematik in den Sektionsnamen aufzunehmen. Aus dem zwölfköpfigen Sektionsbeirat ([https://soziologie.de/sektionen/umweltsoziologie/vorstand-der-sektion)](https://soziologie.de/sektionen/umweltsoziologie/vorstand-der-sektion)) erhielt der Vorschlag zur Namenserweiterung weit überwiegend Unterstützung. Wie angekündigt, wollen wir den Vorschlag breiter zur Diskussion stellen, bevor es dazu einen Beschluss geben soll. Die endgültige Namenserweiterung bedarf sodann der Zustimmung in den DGS-Gremien (Versammlung der SektionssprecherInnen und Konzil).
Nachhaltigkeit/ nachhaltige Entwicklung ist in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem gesellschaftlichen Phänomen und Diskurs von größter gesellschaftlicher Tragweite geworden, u.a. in Politik, Wirtschaft, Bildung oder in zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen – und nicht zuletzt in den Wissenschaften. Die Herkunft des Begriffs wird zurückgeführt auf frühe Überlegungen zu einer nachhaltigen Waldpflege, d.h. Möglichkeiten der langfristigen Walderhaltung statt Raubbau. Deshalb wurde der Nachhaltigkeits-Begriff zu einem wichtigen Impulsgeber für den Umweltdiskurs seit den 1970er, besonders seit den späten 1980er Jahren (Brundtland-Bericht 1987, Rio-Konferenz 1992). Zugleich diente er dem Anliegen, über einen engen Umweltdiskurs hinauszuführen. M.a.W. ging es mit Ideen zu Nachhaltigkeit darum, die ökologischen Probleme in Verbindung mit gesellschaftlichen Problemstellungen zu betrachten, u.a. Anliegen globaler Nord-Süd-Verhältnisse sowie Generationengerechtigkeit.
Man sieht bereits an dieser Herkunft, dass dies dem Grundanliegen der Umweltsoziologie korrespondiert: ökologische Probleme nicht als naturwissenschaftliche Angelegenheit zu betrachten, sondern sie in Verbindung mit sozialen Problemstellungen bzw. selbst als gesellschaftliche Probleme zu analysieren. Folglich wurden die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Nachhaltigkeit/ nachhaltige Entwicklung – Konzeptionen, Programmatiken, Praktiken, Diskurse, normative Ansprüche – von Beginn an in der Umweltsoziologie-Sektion reflektiert. Beispielhaft kann dafür auf frühe Publikationen verwiesen werden (so die von K.-W. Brand herausgegebenen Bände „Nachhaltige Entwicklung. Eine Herausforderung an die Soziologie“, 1997, „Nachhaltige Entwicklung und Transdisziplinarität“, 2000, „Politik der Nachhaltigkeit“, 2002), aber auch auf zahlreichen Sektionsveranstaltungen wurde die Nachhaltigkeitsthematik verhandelt. Zugleich ist daran zu erkennen, dass das, was umweltsoziologisch untersucht wird, in gesellschaftlichen Diskursen oft unter dem Begriff der Nachhaltigkeit verhandelt wird.
Die vorgesehene Namenserweiterung soll sowohl der stets geleisteten Sektionsarbeit zu Nachhaltigkeit gerecht werden als auch die soziologische Expertise zum Untersuchungsgegenstand Nachhaltigkeit nach außen sichtbarer markieren. Wir betrachten dies folglich auch als einen fachpolitischen Schritt, soziologische Expertise in einem wichtigen Feld gesellschaftlicher Entwicklungen und Debatten sichtbar zu machen.
Zur Diskussion
Wenn in bisherigen Diskussionen Einwände gegenüber der Namenserweiterung formuliert wurden, gingen diese typischerweise in eine der folgenden Richtungen (oder eine Kombination davon): ‚Nachhaltigkeit/ nachhaltige Entwicklung‘ sei eine politische bzw. normative Begrifflichkeit, die sich deshalb nicht für den Namen einer soziologischen Sektion eigne (1); die öffentliche Begriffsverwendung sei äußerst diffus, unkritisch und diene bestenfalls dem ‚Greenwashing‘ ökologischer Anliegen (2); es handele sich um ein Querschnittsthema, so dass die Anbindung an die Umweltsoziologie ungeeignet sei (3).
Zu 1) Es ist zweifellos richtig, dass sich mit Nachhaltigkeitsideen normative Vorstellungen verbinden. Im Kern besagen sie, dass Gesellschaften eine ökologische Zukunft haben können sollen. Was das genau heißt, das ist in hohem Maße gesellschaftlich umstritten, auch und gerade da, wo Nachhaltigkeit zur politischen Programmatik wird. Nicht zuletzt ist es das Kontroverse an Nachhaltigkeit, das sie soziologisch interessant macht. Den Sektionsnamen um „Nachhaltigkeits*soziologie*“ zu erweitern, verpflichtet in keiner Weise auf ein normatives oder politisches Programm (es wird kein Nachhaltigkeitsverein gegründet), sondern benennt schlicht das Themenfeld. Inwieweit sich Sektionsmitglieder mit ihrer Forschung an Nachhaltigkeitsanliegen beteiligen wollen, bleibt ihnen ebenso überlassen, wie es bisher bereits für engagierte Umweltforschungen galt.
Soziologisch ist Nachhaltigkeit folglich ein Untersuchungsgegenstand wie Umwelt oder, in anderen Sektionen, Familie, Entwicklung, Soziale Ungleichheit, Soziale Probleme, Körper, Gesundheit, Sozialpolitik usw. Aus soziologischer Sicht ist dabei immer klar, dass die namensgebenden Gegenstände kontrovers sind. Familiensoziologie vertritt nicht per se ein Familienmodell wie auch Gesundheitssoziologie keine bestimmte Gesundheit im Sinn hat, vielmehr erforschen sie diverse Vorstellungen und Praktiken in ihrem Wandel. Auch die Sektion Sozialpolitik ist nicht auf eine bestimmte Normativität und Politik festgelegt, sondern untersucht seit Webers Zeiten verschiedene sozialpolitische Modelle, vergleicht deren Konsequenzen etc. Um solche Auseinandersetzungen ging es unserer Sektion in Bezug auf Umwelt ebenso wie auf Nachhaltigkeit immer wieder. Dies wollen wir mit der Namenserweiterung ‚Nachhaltigkeitssoziologie‘ sichtbar machen.
Zu 2) Im Gegensatz zum ersten Punkt wird im zweiten nicht der Normativität per se widersprochen, sondern der ‚falschen‘ Normativität. Wo Großunternehmen und Regierungspolitik sich auf Nachhaltigkeit berufen, dient das v.a. der Durchsetzung von Macht-/Profit-Interessen, weshalb sich die Soziologie (kritisch) davon absetzen müsse. Wie unter Punkt 1 gesagt, gehen wir davon aus, dass Nachhaltigkeit gesellschaftlich umstritten ist. Dass dies auch zur Interessenlegitimierung genutzt wird, ist deshalb erwartbar und wird offensichtlich praktiziert. Wenn sich Unternehmen und Regierungen Vorteile davon versprechen, sich als nachhaltig zu legitimieren, zeugt das allerdings einmal mehr davon, dass Nachhaltigkeitsideen eine große gesellschaftliche Relevanz erlangt haben. Dass sich Interessendurchsetzung als ‚nachhaltig‘ ausweisen will, impliziert ihre Bindung an normative Kriterien (deren Einhaltung dann wenigstens vorgetäuscht wird). Dies teilt Nachhaltigkeit u.a. mit Ideen zu Demokratie, Menschenrechten oder Gerechtigkeit. Ähnlich wie bei diesen, ist u.E. die Konsequenz daraus nicht, sich von solchen Ideen einfach zu distanzieren, sondern die Qualität der Diskussion darum soziologisch zu befördern.
Zu 3) Die Umweltdebatte kennt solche Argumentationen, dass ‚Umwelt‘ ein Querschnitts- nicht Spezialthema sei, von Beginn an. Soll es also als eigenes Thema institutionalisiert oder in der Breite mitberücksichtigt werden? Die Lösung ist nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Für ‚Nachhaltigkeit‘ gilt das genauso. Als Sektion unterstützen wir die breite Thematisierung von Nachhaltigkeit, kooperieren gern zum Thema und befürworten bspw. die Gründung einer DGS-AG zur Soziologie der Nachhaltigkeit über mehrere Sektionen hinweg. Dennoch halten wir das Nachhaltigkeitsthema für so wichtig, dass es auch auf Sektionsebene und damit unabhängiger von aktuellen Konjunkturen oder Förderungen verankert sein soll. Wie unsere Sektionsaktivitäten belegen, ist die Thematik in der Sektion von Beginn an vertreten – weil sie hier der Sache nach hingehört. Nachhaltigkeit weist über Umwelt im engeren Sinne hinaus, aber umgekehrt lässt sie sich nicht sinnvoll von ökologischen Fragen trennen. Der Entstehung und dem Sinn nach geht es bei Nachhaltigkeit darum, ökologische mit sozialen Fragen verbunden zu betrachten, weshalb dies in der Sektion immer schon Thema war (s. Punkt 1).
Mit diesen einleitenden Reflexionen stellen wir die Namenserweiterung zur breiten Diskussion. Ein Sektionsbeschluss wird dann auf der nächsten Mitgliederversammlung im Rahmen der Frühjahrstagung im Mai 2020 getroffen.
Melanie Jaeger-Erben, Jens Jetzkowitz, Stephan Lorenz
Stephan Lorenz ·
Benjamin Görgen ·